Freitag, 11. März 2022

Das Lied der Weißen Rose

 Friedrich Gundolf


Schließ Aug und Ohr

Schließ Aug und Ohr für eine Weil
vor dem Getös der Zeit.
Du heilst es nicht und hast kein Heil
als wo dein Herz sich weiht.

Dein Amt ist hüten, harren, sehen
im Tag die Ewigkeit.
So bist du schon im Weltgeschehen
befangen und befreit.

Die Stunde kommt da man dich braucht,
dann sei du ganz bereit.
Und in das Feuer das verraucht,
wirf dich als letztes Scheit.

[Fassung des Erstdrucks in: Jugendland. 
Jungenblätter des Bundes deutscher 
Ringpfadfinder 1931.]


Dies Lied von Friedrich Gundolf aus dem George-Kreis
ist mir erst heute bekannt geworden. Wegen seines Pathos
spricht es mich nicht recht an. Doch der Vers "Und in das
Feuer das verraucht, wirf dich als letztes Scheit."
wirkt aufgrund des Eindrucks der Fragwürdigkeit oder
Sinnlosigkeit. Aufmerksam wird man, wenn man hört, dass
es als "Lied der Weißen Rose" bekannt geworden ist .
Das ist der Grund, weshalb ich es hier aufgenommen habe.
Mehr noch allerdings wegen des höchst lesenswerten
Ich selbst bin sehr dagegen, Aug und Ohr zu verschließen.
Die gute Sache zu verteidigen sollte man immer bereit sein,
freilich kommt es immer auf die Verhältnismäßigkeit der
Mittel an. Doch nicht ohne guten Grund steht in Artikel 20
Absatz 4 des Grundgesetzes der BRD:
"Gegen jeden, der es unternimmt, diese [demokratische]
Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht
zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."
Das heißt, man sollte rechtzeitig handeln, bevor "andere
Abhilfe nicht möglich ist".
Haltet Augen und Ohren offen, bevor es zum "letzten
Scheit" kommt, ist daher die demokratische Devise.