Donnerstag, 28. Juli 2016

Paul Gerhardt: Geh aus, mein Herz, und suche Freud

1) Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.
2) Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide,
als Salomonis Seide.
3) Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder,
Berg, Hügel, Tal und Felder.
4) Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen,
ins tiefe Gras gesprungen.
5) Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten,
der Schaf und ihrer Hirten.
6) Die unverdroßne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise,
in seinem schwachen Reise.
7) Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte,
das menschliche Gemüte.
8) Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.
9) Ach, denk ich, bist du hier so schön
und läßt du's uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden,
und güldnen Schlosse werden!
10) Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdroßnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen,
ihr Halleluja singen.
11) O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen,
mit tausend schönen Psalmen.
12) Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen,
zu deinem Lobe neigen.
13) Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
daß ich dir stetig blühe;
gib, daß der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe,
viel Glaubensfrüchte ziehe.
14) Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich Wurzel treiben.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben,
und Pflanze möge bleiben.
15) Erwähle mich zum Paradeis
und laß mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen,
hier und dort ewig dienen.

Dienstag, 24. Mai 2016

"Und sie trugen ihn hinaus" - Überlieferung abseits der Suchmaschinen

"Und sie trugen ihn hinaus. Und als sie kamen in die lange Gasse, die da heißt die kurze, weil sie krumm ist, ..." So oder ähnlich begann der Unsinnstext - weit unbekannter als "Dunkel war's, der Mond schien helle" -, den ich in den Zeiten vor der Einführung des PCs in einem Buch mit weiteren Unsinnstexten - oder waren es humorvolle? - in einem Buch fand, das den Titel "Dunkel war's, der Mond schien helle" getragen haben könnte. 

Wie geht's weiter? Meiner Erinnerung nach so:
"... da begegneten ihnen zwölf weiß gekleidete Jünglinge, die riefen "Sancte! Sancte!" Er aber verstand "Fangt ihn! Fangt ihn!" und lief in die Wüste und wurde ein Meergreis und nährte sich von Kamelhaaren und kleidete sich in wilden Honig.
Und als er zum Sterben kam, da rief er seine drei Söhne - der eine war nie geboren, der zweite schon verstorben, und der dritte war seine Tochter - und sprach:
"Demjenigen von euch, der mich am meisten geliebt hat, vermache ich meinen zerbrochenen Henkeltopf. Die Wiederherstellungskosten muss er selber bezahlen."
Und sie trugen ihn hinaus ..."

Inzwischen habe ich eine Kopie aus dem Buch erhalten, in dem ich diesen Text ursprünglich gefunden habe. Er ist in Fraktur gedruckt und mit der Herkunftsangabe "Mündlich" versehen:

Leichenbegängnis!
Und sie trugen ihn hinaus! 
Und als sie kamen in die krumme Gasse, 
Welche heißt die lange, weil sie kurz ist,
Begegneten ihnen drei weiß gekleidete Jünglinge, 
Die riefen "Sancte, Sancte!" 
Er aber verstand: "Fangt ihn, fangt ihn." 
Da rannte er weg, lief in die Wüste und wurde ein Meergreis.
Er nährte sich von Kamelshaaren und kleidete sich in wilden Honig.
Und Sonntags leistete er sich eine Zwiebel.
Und als es zum Sterben kam, 
Berief er seine drei Söhne:
Von denen war der erste nicht da gewesen,
Der zweite war gestorben
Und der dritte war eine Tochter.
Die versammelte um sich und sprach:
Meine Herren, ich danke ihnen für das Vertrauen,
Daß Sie mich zu ihrem Vater,
meinen Vater zu ihrem Großvater
und meinen Großvater zu ihrem Urgroßvater erwählt haben.
Wer mich am meisten geliebt hat, 
Dem vermache ich meinen zerbrochenen Deckelschoppen. 
Die Wiederherstellungsarbeit aber muß er selber zahlen."
Und ehe er diese Worte gesprochen, verschied er!
Und sie trugen ihn hinaus.

Ich verwende hier die Orthographie und die Satzzeichen der Kopie, so unangemessen sie auch erscheinen mögen und so gewiss sie nicht mündlich überliefert worden sind. Den Spaß, meinen Text mit dem Ausgangstext meiner Überlieferung zu vergleichen (und die dazu passenden mnemotechnischen Überlegungen), überlasse ich vorerst meinen Lesern. 
Nur den einen Hinweis: Und ehe er diese Worte gesprochen, verschied er! 
Das hätte ich mir eigentlich auch merken sollen. Weshalb wohl habe ich es mir nicht gemerkt?

Man merkt, es ist ein Endlostext wie "Ein Hund kam in die Küche ..."*  oder "Ja, ja, ja: Der Dreißigjährige Krieg. Es war ein Tag wie heute, es stürmte und es schneite. Auf einmal geht sie auf die Tür: 'Komm herein, Vetter Antonius und erzähle uns eine Geschichte vom Dreißigjährigen Krieg!'  'Ja, ja, ja: Der Dreißigjährige Krieg. ...'" (Auch dieser Text ist in den Suchmaschinen nicht zu finden. Oder ist jemand anders erfolgreicher als ich?)

* (gesungen von Kinderchor - auf die Melodie von "Mein Hut, der hat drei Ecken"; verfilmt)

Absichtlich habe ich nicht gekennzeichnet, wo ich bei den zitierten Texten nicht sicher bin, ob ich richtig zitiere. Ich bin nämlich daran interessiert, zu erfahren, ob noch jemand eine andere Druckfassung greifbar hat oder wie andere mündliche Überlieferungen der Texte lauten.

Ich bitte um Kommentare oder Mails an meine E-Mailadresse.

Samstag, 30. Januar 2016

Die Geschichte von Goliath und David

Die Geschichte von Goliath und David in Reime bracht. 
von Matthias Claudius

 1. War einst ein Riese Goliath  
Gar ein gefährlich Mann!
Er hatte Tressen auf dem Hut  
Mit einem Klunker dran,  
Und einen Rock von Drap d'argent  
Und alles so nach advenant.

2. An seinen Schnurrbart sah man nur  
Mit Gräsen und mit Graus,
Und dabei sah er von Natur  
Pur wie der – aus.  
Sein Sarras war, man glaubt es kaum.  
So groß schier als ein Weberbaum.

3. Er hatte Knochen wie ein Gaul,  
Und eine freche Stirn.
Und ein entsetzlich großes Maul,  
Und nur ein kleines Hirn;  
Gab jedem einen Rippenstoß,  
Und flunkerte und prahlte groß.

4. So kam er alle Tage her,  
Und sprach Israel Hohn.
»Wer ist der Mann?
Wer wagt's mit mir?  
Sei Vater oder Sohn,  
Er komme her der Lumpenhund,  
Ich bax 'n nieder auf den Grund.«

5. Da kam in seinem Schäferrock  
Ein Jüngling zart und fein;
Er hatte nichts als seinen Stock,  
Als Schleuder und den Stein,  
Und sprach: »Du hast viel Stolz und Wehr,  
Ich komm im Namen Gottes her.«

6. Und damit schleudert' er auf ihn,  
Und traf die Stirne gar;
Da fiel der große Esel hin  
So lang und dick er war.  
Und David haut' in guter Ruh  
Ihm nun den Kopf noch ab dazu.

7. Trau nicht auf deinen Tressenhut,  
Noch auf den Klunker dran!
Ein großes Maul es auch nicht tut:  
Das lern vom langen Mann;  
Und von dem kleinen lerne wohl:  
Wie man mit Ehren fechten soll.